Spielerisches Ringen um die Form

Zu den Skulpturen des Bildhauers Roman Müller

„DIE ELEMENTE DARFST DU VERSCHIEBEN“. Mit diesen Worten begrüsste mich die geschriebene Aufforderung des Künstlers in seinem Atelier in Basel, das ich bei meinem zweiten Besuch alleine betreten durfte. Welch´ ein grosses Vertrauen begegnete mir da. So durchstreifte ich mit meinen Blicken, Händen und der Kamera die in Regalen, auf dem Boden und auf Platten gelagerten Steine in verschiedenen Formen und Oberflächen. Wenn Steine sprechen könnten, dann würden sie Geschichten erzählen, die Jahrtausende alt sind. Über ihre Entstehung und Beschaffenheit, aber auch über alles das, was in ihrer näheren Umgebung passiert ist. Nicht zufällig werden Steine an der Stelle platziert, wo die materiellen Überreste unserer Toten begraben sind. Und in ihrer Beschaffenheit geben sie auch seelisch-geistige Unterstützung zur Anbindung an die Vergangenheit. Seit der Urzeit ist der Mensch daran sie zu gestalten. Er verändert ihr Aussehen, schafft Werkzeuge daraus und (Kult)objekte. Jedes Jahrtausend und in jüngster Zeit jedes Jahrhundert gibt dem Stein eine spezifische Form. Es geht eine Faszination von Jahrtausende alten Steinbauten, Megalithgräbern und Tempelbauten aus, die Roman Müller ebenso wie kleinere Ritualobjekte, seien es Uli- und Ahnenfiguren oder Ritualdolche faszinieren. Und seit Beginn des 20.Jahrhunderts entfernen sich BildhauerInnen von der Nachbildung der menschlichen Figur und experimentieren mit dem Material an sich. Schon früh waren die Bildhauer bemüht, aus dem Stein die größte Lebendigkeit herauszuholen. Wie nun passiert dies heute im 21. Jahrhundert bei dem Bildhauer Roman Müller.
Die einzelnen, eingangs zitierten Elemente in seinem Atelier sind nur wenig größer als die Hand eines kräftigen Handwerkers: fünf konkav gebogene Schalen. Im Modell waren vier davon im Kreisrund aufgestellt. Eine Schale war hinter diesen Kreis gerückt. Sogleich griff ich danach und schloss mit ihr die freie Öffnung nach Oben hin, machte sie zum Dach einer Behausung. Meine Finger glitten über die raue Oberfläche dieser, mich an einen Iglu erinnernde Form. Wie lebten die Menschen durch die Jahrtausende hindurch? Welche Bedingungen fanden sie vor, welche geografischen Gegebenheiten und welche Witterung? Nun mögen äussere Formen unserer Welt in den Werken von Roman Müller Aufnahme finden, sie sind jedoch niemals „Nachbildungen“ sondern vielmehr „innere Bewegung oder Überlagerung dieser äusseren Welt“, so die Erfahrung des Künstlers. Einer äusseren Welt, die aus belebten und unbelebten Dingen, Erforschtem und Rätselhaftem besteht.
Roman Müller hat bereits nach der Matura mit Holz und Eisen gearbeitet und einige Jahre später erste Werke in Stein geformt. Seine gestalterische Ausbildung hat er im Vorkurs und einem Zusatzkurs in Biel absolviert. Eine vierjährige Lehre als Steinmetz folgte. Und seither hat ihn die Auseinandersetzung mit dem Stein, das Herausholen des immanent darin Vorhandenen, nicht mehr losgelassen. Seinen Arbeiten gehen oft Skizzen voraus, in denen der Künstler versucht, Grundbewegungen mit wenigen Strichen festzuhalten. Bisweilen sind diese auch von Bildern aus Träumen inspiriert. Danach formt Roman Müller Modelle so genannte Tonskizzen. „Diese können aus dem weichen Kalkstein Savonnières sein, der gut säg- und raspelbar ist“. Doch auch das lange Betrachten, selbst das Umherklettern zwischen den Steinen wie im Steinbruch im Laufental führt zur Verbindung von Vorstellung und Material. Dazu sagt Roman Müller „Nach dem ausgesuchten Stein forme ich das Tonmodell und skizziere erste Schritte, die auf den Stein übersetzt werden. Es ist ein „Hin und Her“ im Formen des Tonmodells und dem Stein, ein Ringen, ein spielerisches Ringen auch“.
Wieder zurück zu den fünf Scheiben, die 2012 auch in der Basler Galerie Eulenspiegel zentral im Ausstellungsraum platziert waren. Sie machen neugierig, changiert doch die, unregelmässig mit dem Meissel behauene und gestaltete Oberfläche vom weiß zu verschiedenen Grautönen bis hin zum Schwarz. Als ich am Modell die Öffnung wieder abgedeckt hatte, sah ich eine Form, die mich an das antike Pantheon in Rom denken ließ. Die Mitte im Zenit lässt da den Blick in den offenen Himmel zu. Die, Jahrhunderte später, 1929 in Basel gebaute Kuppel der Markthalle aus acht Betonsegmenten kommt mir noch in den Sinn. Und schon bin ich bereit zum nächsten Schritt, zu einer neuen Anordnung. Ich platzierte die fünf Schalen hintereinander. Durchgänge blieben frei, liessen Schatten wachsen und luden mich zum virtuellen Besuch ein. `Die Skulptur wird zum materialisierten Gedanken´

nicht nur demjenigen ihres Schöpfers. Im stummen Befolgen einer Aufforderung bin auch ich als Betrachterin und vom Künstler autorisierte Besucherin im Be-Greifen seines Werkes zu einer neuen Gesamtform gelangt.
Der Blick für das Kleine, das Unscheinbare ist Roman Müller wichtig. Er mag diesen auch mithilfe seines fotografischen Auges gefunden haben, einer weiteren Technik, in die er sich seit seinem 21. Lebensjahr eingearbeitet hat. Sein Weg über die Schwarz-Weiss Fotografie hin zum dreidimensionalem Schaffen ist bezeichnend und schuf eine größere Verdichtung in seiner Arbeit.
Das Markieren und Behauen von Steinen zählt bekanntlich zu den ältesten handwerklichen Berufen. Und es bedeutet auch das Bewältigen des Maßstabs, wenn Constantin Brancusi 1927 die `Skulptur als Architektur´ bezeichnete. Roman Müller verwendet hierzu unter anderen Natursteine aus Christallinem Marmor von Peccia im Tessin. Weniger bekannt als derjenige aus Carrara ist dieser, vor Jahrmillionen in der Trias gewachsene Marmor in 1200 Meter Höhe besonders hart. Ein zwei Meter vierzig hohes Gebilde schraubt sich aus einer Grundfläche von 40 mal 20 cm in die Höhe. Gleich einem ornamentierten Obelisken sind darauf Reliefbänder zu sehen. Waagrechte schaffen Ordnung, senkrecht Aufsteigende schlängeln sich pflanzengleich, gebogen und gerade nach oben. Welche Leichtigkeit vermittelt das Werk nach schweren (Transport)wegen und all seiner konzentrierten Bearbeitung. Und ist lediglich mit „ Ohne Titel, Jahr 2011“ benannt. Roman Müller sagt: „ Beinahe alle meine Arbeiten sind aus Stein. All den Steinen gemeinsam ist, dass nur durch Abtragen und Wegnehmen die Formen herauszuschälen sind. Das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit der verschiedenen Steine. Ob Kalkstein, Sandstein, Granit, Marmor Alabaster oder Travertin, ihre Entstehung, die Struktur, die Farbe und so das Gefühl beim Anfassen und wie sie zu bearbeiten sind, ist bei allen immer wieder ganz anders. Schon innerhalb der Gruppe der Marmore gibt es grob- und feinkörnige, gebänderte, gewölkte, härtere und weichere nebst all den verschiedenen Farben, die diese wie schmutzigen Sulzschnee oder wie einen schweren bedeckten Himmel aussehen lassen…. „Stein ist nicht gleich Stein.“
Ein weiteres Werk lässt mich an die Spolie zweier übereinander gelagerter Säulenteile aus der griechischen Antike denken oder an Formen, die von Meereswellen über Jahrtausende hin gebildet sein könnten. Nach der Erkenntnis von Roman Müller „im Wechsel zwischen dem inneren Bild und der äußeren im Stein durch Meisselhiebe entstehenden Form verändert sich im Laufe der Arbeit auch das innere Bild.“ So entsteht ein reziprokes Arbeitsverhältnis. Dies gilt auch für ein 25 Zentimeter langes Gebilde, das trotz seiner beachtlichen Ausbuchtung noch zu einer keck geschwungenen spitz auslaufenden Form gefunden hat: „Ohne Titel 1984/1991“. Kugelförmige Gebilde zeigen unterschiedlich gestaltete Öffnungen, die Betrachtende an Formen aus der Tierwelt denken lassen könnten, vom Künstler jedoch nicht als solche intendiert sind. Bearbeiteter Kalkstein lässt an eine weiche Oberfläche denken. Die dem Stein immanente Farbe Ocker/Beige verstärkt diesen Eindruck. Man empfindet Atmosphäre, ja eine Aura rund um die Skulptur.
An religiöse Rituale lässt die Bearbeitung eines nach oben hin geöffneten Kubus denken, in den drei Treppenstufen hineinführen. Das zur jüdischen Religion gehörende Tauchbad für rituelle Waschungen, die Mikwe kommt manchem Betrachtenden in den Sinn. Das Material Petit Granit, also schwarzer Kalkstein unterstreicht in seiner Kompaktheit diese Bedeutung, auch wenn die Arbeit gerade mal 25 x 25 x 26 Zentimeter misst.
Es ist kein Stein mit dem anderen zu vergleichen. Nicht nur in der Farbgebung, auch in der Struktur. Und dies bedingt unterschiedliche Weisen der Annäherung. Von kulturell-historischer Zeugenschaft bis hin zum Herausholen bestimmter Formen, die im Stein schlummern und die der Bildhauer Roman Müller aus dem Stein herausgeholt hat. Dies bedingt ein vollkommenes Sich Einlassen auf das jeweilige Material. Ein Vorgang, der in reziproker Weise vom `Sich Einlassen´, dem handwerklich geschulten und künstlerischen Bearbeiten zum mehr oder weniger „spielerischen Ringen“ mit dem Stein bis hin zur Skulptur führt.

Andrea-S. Végh, Januar 2013



Roman Müller – Bildhauer

Der Stein ist ein Spiegel. Aus ihm schält der Bildhauer Roman Müller die Form, die dem eigenen inneren Erleben entspringt. Dem setzt der Stein Widerstand entgegen. Die Diskrepanz zwischen der inneren Vorstellung und der Form des Steins ist gleichzeitig Schwierigkeit und Reiz der Arbeit.
Roman Müller ist die Annäherung vom Handwerk her wichtig. Es gibt wohl klare, vorgefasste Absichten, aber keinen unabänderlich und präzise umrissenen Plan. Modelle macht er meist nur, um Detailfragen zu klären. Wichtig sind ihm Prozesse: Geologische Vorgänge haben das Werkstück geformt, in der Bearbeitung durch den Bildhauer wird es zum Körper. Diese Arbeit gestaltet sich als Dialog mit dem Stein, sie ist ein Herantasten an dessen innere Form im Austausch mit der eigenen inneren Form. All diese Prozesse laufen gleichzeitig ab, überlagern und durchdringen sich vielfach. Analog der Verwandlung des Steins im flüssigen Erdinnern oder bei der Auffaltung von Gebirgszügen. Dort führt es zu stets neuen Strukturen im Fels, hier, unter den Werkzeugen des Bildhauers, entstehen neue, unerwartete Körper und Texturen. Je nach Gesteinsart liegt der Charakter der Skulptur in ihrem Volumen oder im Raum, den sie öffnet.
Der Stein beeinflusst und verändert das ursprüngliche, innere Bild. Er holt es in die Realität. Die Skulptur wird zum materialisierten Gedanken. Und die Auseinandersetzung mit dem Werk hört nicht mit dem letzten Meisselschlag auf – im Betrachten und Berühren der Skulptur geht der Dialog weiter. Wie mit einem Spiegel, in dem man sich jedes Mal neu erblickt.

Boris Schibler, 2008




Die Elemente der Überlagerungen, Durchdringungen, Brüche, Verwerfungen, Schwingungen, Verdichtungen sind in der Natur vorhanden und gleich einer Sprache lesbar. Ohne ein Abbild der Natur zu sein, fließen Elemente dieser Sprache in viele meiner Arbeiten ein.
Oft ist der Anfang einer Skulptur ein inneres Bild, eine Ahnung, die erst durch den Prozess der Skizzen/Modelle und durch das Herausarbeiten aus dem Stein sich verdichtet und Ihre Gestalt finden kann. Im Wechsel zwischen dem inneren Bild und der äußeren im Stein entstehenden Form verändert sich im Laufe der Arbeit auch das innere Bild.

Roman Müller, 2011